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Kinderanhänger sind eine praktische und sichere Möglichkeit zum Kindertransport mit dem Fahrrad.
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Reaktion auf Stiwa-Testbericht

Fahrradanhänger-Hersteller wollen sich der PFAS-Problematik stellen

(Update: 6.8. 2024) Der jüngste Stiwa-Test zu Fahrradanhänger sorgte für reichlich Diskussionsstoff. Der Pulverdampf hat sich mittlerweile wieder etwas gelegt, gleichwohl bleiben Fragen offen. Eines wird auch nach den jetzt erfolgten Reaktionen einiger Hersteller klar: Die Schadstoffe der Klasse PFAS werden künftig nicht nur bei Fahrradprodukten stärker in den Fokus gerückt werden.

Ein Blick zurück in die vergangene Woche: Die Stiwa hatte mit Ankündigung zur nächsten „test“-Ausgabe die Ergebnisse des Fahrradanhänger-Tests veröffentlicht. Die Ergebnisse waren auf den ersten Blick verheerend – alle Fahrradanhänger von den führenden Marken erhielten ein „mangelhaft“ und gleichzeitig einen „abwatschenden“ Bericht im „test“-Heft velobiz.de berichtete . Die Reaktionen in der Tagespresse und den Online-Medien waren entsprechend negativ, eine genaue Analyse der Testergebnisse findet dort gewöhnlich nicht statt.

Die betroffenen Fahrradhersteller haben auf die Testkritik zwischenzeitlich reagiert. Zwischen den Zeilen liest man in den verschiedenen Statements, die wir im Anschluss des Artikels ungekürzt veröffentlichen, dass noch große Unsicherheit im Umgang mit dem Schadstoff der Klasse PFAS besteht. Diese Fluorchemikalien ((Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, kurz PFAS) werden aufgrund ihrer außergewöhnlichen Eigenschaften in ganz vielen Produkten verwendet, kommen jedoch in der jüngsten Vergangenheit in das Visier von Verbraucher- und Umweltschützer, weil sie offenbar Wasser und Boden verschmutzen können und über die Nahrungskette sich auch bei Menschen und Tieren anreichern können.

Einen guten Überblick über PFAS und einen Eindruck über die Komplexität des Themas gibt etwa die Verbraucherzentrale in einem vor rund einer Woche veröffentlichten Online-Bericht oder noch detaillierter das Umweltbundesamt . Eine unmittelbare Gesundheitsgefahr geht von diesen Stoffen nicht aus, wie auch Stiftung Warentest in ihrem Bericht darlegt. Jedoch wird PFAS künftig verstärkt der Kampf angesagt und das Thema verstärkt an die Öffentlichkeit gebraucht. Die Anbieter von Fahrradanhängern mussten dies jetzt am eigenen Leib erfahren.

Kritik und Verbesserungen

Offenbar wurden die Hersteller bezüglich PFAS auf dem falschen Fuß erwischt. Die Stiftung Warentest hatte zwar bereits im Frühjahr auch bei Kinderbuggys erstmals ein PFAS-Testverfahren angewandt, bei dem ebenfalls reihenweise Modelle abgewertet wurden, doch insgesamt ist dieses Thema noch vielfach Neuland. So heißt es beispielsweise von Hamax: „ Nach internen Untersuchungen haben wir festgestellt, dass Stiftung Warentest ein unbekanntes, neues Testverfahren verwendet hat, welches bei keinem unserer zertifizierten Prüflabore bekannt ist. Dieses Verfahren führte dazu, dass bei allen Produkten im Test PFAS nachgewiesen wurden.“

Andreas Gehlen, Geschäftsführer der Croozer GmbH, teilt diesbezüglich mit: „Wir haben alle Textilien unserer Produkte auf PFOA und PFOS getestet. Die gesetzlichen Werte für diese Substanzen halten wir auch bei den von der Stiftung Warentest zu diesen Substanzen durchgeführten Tests ein. Die Stiftung Warentest hat jedoch zusätzlich auf damit verwandte Derivate (Anm. d. Redaktion: davon gibt es rund 10.000) getestet. Diese Stoffgruppen hatten wir nicht als Verbotsstoffe identifiziert und nicht mit unserem Schadstoff-Management überwacht.“

Als Reaktion auf die Ergebnisse, so Gehlen, habe man eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe gegründet, mit dem Ziel, das Schadstoff-Management zu optimieren, so dass es den sich dynamisch entwickelnden Anforderungen auf gesetzlicher Seite umgehend Rechnung trage.

Auch der betroffene Hersteller Qeridoo spricht von einem neuen PFAS-Testverfahren der Stiftung Warentest, der im Seitenstoff den Schadstoff nachgewiesen habe. Der Hersteller teilt dazu mit: „Unsere Produkte erfüllen alle gesetzlichen Anforderungen. Allerdings wollen wir diese übertreffen. Dementsprechend haben wir bereits einen unabhängigen Partner gefunden, der mit uns das neue, von Stiftung Warentest durchgeführte Testverfahren anwenden kann. Unsere Lieferkette werden wir entsprechend anpassen.

Verunsicherte Käufer

Insgesamt lässt der Testbericht von Stiftung Warentest den interessierten Kunden ratlos zurück. Keiner der Fahrradhänger, die ansonsten bei Funktion, Haltbarkeit und Sicherheit großteils gut oder sehr gut getestet wurden, sei laut Stiftung Warentest zu empfehlen, war vor allen Dingen am gefundenen PFAS liegt.

Was ist dann die Alternative für den sicheren Kindertransport? Das Fahrrad stehen lassen und nur noch mit dem Auto fahren? Nicht ganz ernst gemeint dürfte wohl der Rat der Stiwa-Redaktion gewesen sein, jetzt auf gebrauchte Fahrradanhänger zurückzugreifen, weil somit wenigstens die Lebenszeit der Fahrradanhänger verlängert werden. Ob dies aus Sicherheits- oder Komfortaspekten eine sinnvolle Alternative darstellt, sei mal dahingestellt.

Und es steht außer Frage, dass in Bezug auf ein Verletzungsrisiko in Falle eines Unfalls, ein guter Fahrradanhänger immer noch die beste Wahl darstellt. Das ergibt sich aus Studien der Unfallforschung der Versicherer genauso wie aus Crashtests des ADAC .

Verunsicherten Kundinnen und Kunden kann übrigens auch die herstellerunabhängige Website des Vereins „Fahrrad & Familie e.V. ans Herz gelegt werden, die die Ergebnisse von Stiftung Warentest zu den Kinder-Fahrradanhängern informativ einordnet.

Statement Hamax

„Alle Hamax-Produkte auf dem Markt sind sicher und entsprechen den europäischen Normen EN 15918 (für Sicherheitsanforderungen an Kinderfahrradanhänger), EN 1888 (für Kinderwagen) und den erforderlichen chemischen Standards (EN 71-3 & REACH). Wir verfügen über alle notwendigen Zertifikate, die die Einhaltung dieser Standards durch mehrere, unabhängige und akkreditierte Prüfstellen belegen. Die Einhaltung dieser Standards ist erforderlich, um Produkte auf dem europäischen Markt zu verkaufen.

Wir stimmen dem Testergebnis der Stiftung Warentest nicht zu und haben ihnen unsere Nachweise für die Einhaltung der Standards vorgelegt. Nachdem uns Stiftung Warentest über das Ergebnis der chemischen Nichtkonformität informiert hatte, haben wir von all unseren Anhängermodellen im Lager, Stichproben entnommen und erneut testen lassen. Diese Tests erwiesen wieder vollständige Konformität.

In einem Treffen mit der Stiftung Warentest haben wir erfahren, dass eine neue chemische Testmethode verwendet wurde. Diese Methode ist mehreren akkreditierten Prüfinstituten unbekannt. Hamax wird mit den relevanten Behörden und Prüfinstituten besprechen und bewerten, welche Testmethode für unsere zukünftige Prüfungen verwendet werden soll.
Wir sind überrascht, dass Stiftung Warentest diese Methode im veröffentlichten Test verwendet hat, bei dem alle getesteten Produkte der weltweit führenden Hersteller, bei der chemischen Konformität durchgefallen sind.

Am wichtigsten ist es uns zu betonen, dass laut Stiftung Warentest, die gefundenen PFAS keine direkten Gesundheitsrisiken darstellen.
Hamax absolute Priorität ist und bleibt es, stets Produkte von höchster Qualität und absoluter Sicherheit anzubieten, wie wir es seit mehr als 60 Jahren tun.“

Statement Qeridoo

Im Test haben wir branchenweit die besten Ergebnisse erzielt – dies gilt insbesondere für den Punkt Sicherheit und Haltbarkeit. Mit einem neuen Testverfahren hat Stiftung Warentest allerdings PFAS (sogenannte “Ewigkeitsmaterialien”) in unseren Produkten gefunden. Die bei uns vorhandenen PFAS sind laut Stiftung Warentest und dem Bundesinstitut für Risikobewertung, für Kinder nicht schädlich, allerdings in der Natur schwer abbaubar.

Umweltschutz ist für uns nicht verhandelbar. Es ist deshalb eine Priorität für uns, dass unsere Produkte die gesetzlichen Anforderungen einhalten. Bisherige Tests haben das bislang auch immer bestätigt. Das neue Testverfahren werden wir nun ebenfalls in unsere Qualitätssicherung integrieren und ist für uns Ansporn, unseren eigenen Ansprüchen an Produktqualität und Umweltstandards weiter gerecht zu werden.

Kunden, die sich mit den Testergebnissen aus Umweltschutzgründen unwohl fühlen, bieten wir ein kostenloses Recycling ihrer Produkte nach ihrer Nutzung an.

Unsere Produkte erfüllen alle gesetzlichen Anforderungen, allerdings wollen wir diese übertreffen. Dementsprechend haben wir bereits einen unabhängigen Partner gefunden, der mit uns das von Stiftung Warentest durchgeführte Testverfahren anwenden kann. Wir sind froh, mitteilen zu können, dass der Kidgoo 2 Fidlock Edition alle gesetzlichen Anforderungen einhält. Wir freuen uns daher sehr, den Kidgoo 2 nun mit gutem Gewissen wieder für den Verkauf freigeben zu können.

Wir möchten euch die benutzerfreundlichsten und sichersten Fahrradanhänger mit der geringstmöglichen Umweltbelastung anbieten. Wir verstehen, dass mit dem Testergebnis viele Fragen bei euren Kunden aufkommen können. Bitte findet entsprechend anbei ein PDF, wo wir den Test einordnen. Zusätzlich stellen wir unseren Kunden alle wichtigen Informationen auf unserer Website ( https://qeridoo.de/stiwa ) zur Verfügung.

Statement Croozer (in Bezug auf PFAS)

Mangel: Bezüglich der PFOA verwandten Verbindungen und der C9-C14-PFCA verwandten Stoffe, die chemisch den PFAS zugordnet werden, wurden erhöhte Konzentrationen festgestellt. Da die gesamte PFAS-Stoffgruppe (mehr als 10.000 verschiedene chemische Verbindungen) seit September 2023 auf der Beschränkungsliste steht, wurde das Gesamtergebnis bezogen auf PFAS mit mangelhaft bewertet.
So haben wir reagiert: Wir haben eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe – auch mit externen Experten – gegründet. Unser Ziel ist, unser Schadstoff-Management zu optimieren, so dass es den sich dynamisch entwickelnden Anforderungen auf gesetzlicher Seite umgehend Rechnung trägt.

Wie konnte es zu dem Mangel kommen?
Wir haben alle Textilien unserer Produkte auf PFOA und PFOS getestet. Die gesetzlichen Werte für diese Substanzen halten wir auch bei den von der Stiftung Warentest zu diesen Substanzen durchgeführten Tests ein. Die Stiftung Warentest hat jedoch zusätzlich auf damit verwandte Derivate getestet. Diese Stoffgruppen hatten wir nicht als Verbotsstoffe identifiziert und nicht mit unserem Schadstoff-Management überwacht.

Der Kontakt mit PFAS stellt nach heutigem Wissenstand keine akute Gesundheitsgefahr für das Kind dar, auch wenn wir uns dem grundsätzlichen Urteil anschließen, dass PFAS belastend für die Umwelt sind und daher ausgeschlossen werden sollten. Dies bedeutet also nicht, dass der Croozer Kid Vaaya 2 oder Croozer Kid Keeke 2 nicht mehr genutzt werden können.

Statement Thule (nachgereicht)

Baptiste Chaussignand, Director Bike Category Thule:
“At Thule Group safety is always the most important thing in our product development. Consumer safety is one of the central building blocks of our culture and our way of working. Therefore, after we received the results from Stiftung Warentest, we have started further analysis on these products both internally and with our external testing partners (SGS and Centextel) and suppliers. The additional testing did not corroborate the results shared by Stiftung Warentest: the tested bike trailers comply with all regulatory chemical standards and meet required level of safety in the EN-Standard.

That means that the external testing has not confirmed the results that Stiftung Warentest presented to us. Further than this, also our result shows that these bike trailers are in line with regulatory chemicals level and the result has been carefully studied by internal experts.
There is no safety risk and Thule is very confident that these trailers can be sold and used without any safety concerns. Consumers can continue to use the product without additional actions needed.

All Thule products are designed, tested and quality controlled to remain safe over time. With numerous quality routines Thule Group secures safe products on the market. As a part of our efforts and to work toward compliance with rapidly evolving legislation, we have already been designing all new products containing textiles to exclude PFAS. We are also updating and transitioning existing products to reduce and exclude the use of PFAS.”

Herstellerstatements gegenüber Stiwa

Anbieter Thule verweist auf eigene Testergebnisse und Prüfungen. Diese hätten keine Auffälligkeiten ergeben. Thule geht davon aus, dass alle drei getesteten Anhänger ohne Sicherheitsbedenken verkauft werden können. Die Textilien neu entwickelter Anhänger sollen keine PFAS mehr enthalten.

Anbieter Hauck hat eine interne Fehleranalyse gestartet und kündigt intensivere Tests und Kontrollen an mit dem Ziel, sicherzustellen, dass Anhänger frei von PFAS sind

6. August 2024 von Jürgen Wetzstein

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